In fast jeder Familie gibt es sie, die ungewöhnlichen, schrulligen Mitglieder. Bei uns war es Onkel Herbert, der ewige Junggeselle. Er war ein hagerer Mann mit scharfen, wettergegerbten Gesichtszügen. Immer im Anzug mit Schirmmütze, könnte er als Vorbild für Nick Knatterton gedient haben:
Zusammen mit der Familie seines Bruders, wohnte er in einem alten Schloß in der bayrischen Provinz. Eigentlich war es eher ein burgähnliches Gebäude mit sehr hohen Räumen, alten Kachelöfen, knarrenden Türen und Sälen anstatt Zimmern. Es gibt sogar ein aktuelles Foto davon:
Wir Kinder liebten die Eingangshalle, denn da hing eine Schaukel, mit der man sich bis zur meterhohen Decke schwingen konnte. Das kitzelte so wunderschön im Bauch. Das Haus war für uns geheimnisvoll. Es wirkte etwas verstaubt und die eher dunklen Räume schienen viele Geschichten erzählen zu können.
Aber nun zu Onkel Herbert. Er trug immer Anzüge mit Knickebockern und die dazu passende Schirmmütze, wie diese drei Herren hier:
Alles war aus dem selben Stoff geschneidert. In der riesigen Küche stand, neben dem alten großen Schloßofen sein Webstuhl.
Dort webte er die Stoffe selbst und nähte sich anschließend daraus die Anzüge samt passender Mütze. Die Stoffe hielten ein Leben lang. Etwas steif und hart fanden wir sie, denn wir waren moderne weiche Stoffe gewohnt. Ob er die passenden Kniestrümpfe auch noch strickte weiß ich allerdings nicht. Zutrauen würde ich ihm auch das. Auf jeden Fall waren sie immer farblich passend. Er war also ein Weber und Schneider aber außerdem auch noch ein sehr fleißiger Maler.
In den sehr großen Räumen hingen alle Wände voll mit altmodischen Ölgemälden, die unser Onkel selbst gemalt hatte. Berg- und Naturmotive waren seine Leidenschaft, ähnlich diesem Gemälde:
Kaum ein Zentimeter Wand war in den Räumen noch zu sehen. Er war ungeheuer produktiv. Auch die Rahmen fertigte er selbst. Meine Schwester hat heute noch ein Gemälde von ihm. Zum Malen fuhr Onkel Herbert mit seinem VW-Käfer in die Berge. Einmal durften wir ein Stück mit ihm fahren. Dies war ein Erlebnis der anderen Art. Man dachte man könne neben dem Käfer herlaufen, so langsam tuckerte er durch die Landschaft. Manch gefährliches Überholmanöver löste er damit aus, aber er fuhr stoisch, unaufgeregt und langsam wie eine Schnecke weiter vor sich hin und erreichte immer sein Ziel. Zeit schien ihm nicht wichtig zu sein. Mit im Gepäck hatte er seinen Skizzenblock und die Staffelei. Außerdem Körbe zum Sammeln. Denn er war ein begnadeter Beeren- und Pilzesammler. Dann saß er einen Teil des Tages vor seiner Staffelei um Entwürfe zu fertigen und danach ging er zum Sammeln. Ohne etwas mitzubringen kam er nie nach Hause und Tante Hildegard, seine Schwägerin, kochte anschließend Kompott aus den Waldbeeren oder trocknete die Steinpilze auf langen Schnüren.
Als Kind fand ich ihn immer etwas unheimlich und unnahbar. Aber wenn ich heute an ihn denke, dann wird mir bewusst, dass er war ein ganz besonderer Mensch mit enormen künstlerischen und handwerklichen Fähigkeiten war. Offensichtlich hat er nie eine Frau gefunden, die seine Eigenheiten liebte oder ergänzte und so blieb er Junggeselle und wurde bestimmt von vielen Menschen als verschrobener Kauz abgestempelt. Ihn schien das aber niemals zu stören. An seine Stimme kann ich mich nicht erinnern, ich vermute deshalb, dass er ein eher schweigsamer Mensch war. Mit uns Kindern konnte er vermutlich damals auch nicht viel anfangen.
Heute allerdings könnte ich seine Art schätzen, würde mich bestimmt sehr gerne mit ihm unterhalten, ihn nach seinen Erinnerungen und Erfahrungen fragen und würde seine vielfältigen Fähigkeiten bewundern.
…er war bestimmt ein sehr liebenswerter Mensch…
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Das könnte gut sein, aber damals konnte ich das noch nicht wahrnehmen. Meist verstand ich mich mit den Männern der Familie besser als mit den Frauen, aber er blieb immer etwas unnahbar für mich.
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…vielleicht war er auch für die Erwachsenen etwas unnahbar, weil er eben sein eigenes Leben hatte…
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Klingt nach einem hoch interessanten Menschen mit hoher Intelligenz und Begabung. Solche sind mir die liebsten. Mit denen kann ich einfach am besten.
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Geht mir heute genauso. Ich wüßte ihn heute wirklich zu schätzen.
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Heute wuerdest du ihn sicher mit anderen Augen sehen!!!ich denke jetzt mit Abstand auch, was ich gern meinen Opa gefragt haette…
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Ich war aber immer eine die alte Geschichten und Andenken sammelte, aber erst jetzt hätte ich auch wirklich die Zeit, Muße und das Verständnis zum bewußteren Zuhören.
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Ich verstehe , was du meinst…..
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Scheint ein interessanter Onkel gewesen zu sein…und sehr sympatisch…ich hätte prompt mit ihm gewebt 😉
Ich finde es total spannend in der Familiengeschichte umher zu schlendern…
Wir sollten uns viel mehr mit der älteren Generation unterhalten…schade, dass ich meine Großeltern nicht mehr fragen kann, wie es früher so war….
Hab noch einen schönen Abend
Liebe Grüße
Gabi
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Ich bedaure auch manchmal, dass ich früher nicht so die Geduld zum länger zuhören hatte, aber so ist es eben in der Jugend. Spätetr wohnte ich weiter weg, da gab es auch selten Gelegenheit zum Austausch.
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… as hat dich erinnert, an diesen in sich ruhenden Menschen… 😉
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Ich sah ein Gemälde und da fiel er mir wieder ein- Gerne hätte ich auch eins seiner Bilder. Damals gefielen sie mir nicht, waren mir zu altmodisch, aber heute würde ich es in Ehren halten
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Eine schöne Geschichte, und schön, dass du uns diesen kauzigen Menschen vorgestellt hast. Ich mag ihn!
In meiner Verwandtschaft gibt es auch so einen Onkel: Onkel Werner. Er war ein Künstler und Lebemann, machte anderen zu viele und zu teure Geschenke, mit Geld konnte er nie umgehen. Wir Kinder liebten ihn, weil er immer irgendwelche Spielsachen mitbrachte. 🙂
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In Erinnerung bleiben sie mehr als die angepaßten Mitglieder der Familie. Unsere Familie war auch weit verstreut, einen Onkel traf ich erst als ich schon über 30 war und meine weit über 30 Cousinen und Cousins kenne ich teilweise überhaupt nicht.
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Eine schön erzählte Erinnerung an Onkel Herbert.
Hätte man als Erwachsener die Möglichkeit noch einmal mit den schillernden und verschrobenen Gestalten der Kindheit zu sprechen, würde man wahrscheinlich sehr viel mehr erfahren. Oder sich den Zauber der Erinnerung nehmen.
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