Fräulein

Erinnerungen

„Fräulein“rief es gestern aus unserem Garten. Ich saß am Balkon und fühlte mich nicht angesprochen. „Frrrrrrrrrräulein“ tönte es wieder, mit gerolltem R. Es war unser türkischer Gärtner und er rief mich. Wie lange habe ich das nicht mehr gehört.

Wie oft habe ich früher betont, dass ich mit „Frau“ angesprochen werden möchte. Ich war Feministin oder soll ich sagen Emanze? Keine lila Latzhose tragende Männerfeindin, ich liebte diese nämlich an meiner Seite, sondern eine, die sich für Gleichberechtigung einsetzte. 1971 wurde das „Fräulein“ aus der deutschen Amtssprache entfernt. In den Köpfen lebte es allerdings noch weiter. Heiraten wollten wir jungen Leute nie, nur Zusammenleben. Sehr viel später wurde ich dem untreu, aber meinen Mädchennamen oder „Fräulein-Namen“ habe ich bis heute behalten.  Auf jeden Fall wollten wir Frauen unabhängig bleiben. Ich habe dies immer geschafft, trotz Kind und Männern.

Was lasen wir alles für feministische Bücher, schon die Titel sagen alles: Hexengeflüster, Häutungen, Feminismus oder Tod, Gyn/Ökologie und wie vergewaltige ich einen Mann. Letzteres erschien in der Reihe „neue frau“ bei Rowolth. Wir wollten auch neue Frauen sein. Anders leben als unsere Mütter, die noch nicht einmal als Ehefrau wussten was ihre Männer verdienten oder ohne deren Erlaubnis arbeiten durften. Wir Töchter haben haben es weit gebracht.

In einem Forum schrieb mir eine junge Frau, dass keine Frauenemanzipation mehr nötig sei. Ich verwies auf die Unterschiede in Gehältern, die wenigen Führungspositionen von Frauen, die Werbung die alte Rollenbilder zeigt etc pp, sie war nicht zu überzeugen. So denken anscheinend viele junge Menschen. Schade, denn wenn ich meine Umwelt betrachte, dann würde ich gerne einige dieser alten Bücher aus dem Keller holen und verschenken. Viele hätten es bitter nötig. Egal ob Mann oder Frau, denn es können sich immer nur beide Seiten zusammen emanzipieren, denke ich.

Was einem Alles so einfällt, nur weil einer „Fräulein“ ruft.