Der Blütenzweig

Immer hin und wider

Strebt der Blütenzweig im Winde,

Immer auf und nieder

Strebt mein Herz gleich einem Kinde

Zwischen hellen und dunklen Tagen,

Zwischen Wollen und Entsagen

Bis die Blüten sind verweht

Und der Zweig in Früchten steht,

Bis das Herz, der Kindheit satt,

Seine Ruhe hat

Und bekennt: voll Lust und nicht vergebens

War das unruhvolle Spiel des Lebens.

Hermann Hesse

Fotos: Sylvia Waldfrau

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Brief an meinen Vater

Diesen Beitrag veröffentlichte ich vor 7 Monaten. Nun bekam ich die Nachricht, dass es meinem Vater gesundheitlich sehr viel schlechter geht und er selbst seine Frau noch selten erkennt. Ich habe diesen Brief heute nochmals gelesen und möchte ihn gerne nochmals veröffentlichen, auch als Trost für mich, denn ich kann ihn leider nicht in Colorado besuchen. Und ich sende hiermit alle meine lieben Gedanken zu ihm und auch zu seiner Frau, die ihn rührend umsorgt.

 

Liebster Papa,

ich weiß, dass du noch du selbst bist, wir dir aber fremd geworden sind. Du kennst uns noch aus der Vergangenheit, aber heute erkennst du uns nicht mehr.

Ich weiß auch,  dass du nun zufrieden in deiner eigenen Welt lebst und meist fröhlich und auf kindliche Weise glücklich bist. Wir sind es die traurig sind. Du vermisst uns nicht, aber wir vermissen den Vater, der du warst.

Deine Kindheit in den Bergen war, deinen Erzählungen nach, eine glückliche Zeit, die in der Jugend aber jäh durch den Krieg endete. Fast noch ein Kind hast du seine Grausamkeit kennengelernt. Du musstest als Soldat kämpfen und bist nur knapp der Kriegsgefangenschaft entronnen. Vieles was du damals erlebst hast, konntest du nie in Worte fassen.

Als junger Ehemann und Vater von drei Kindern musstest du dann deine geliebte Heimat verlassen. Mit nur zwei Rucksäcken mit allem Hab und Gut und den kleinen Kindern war ein Neuanfang schwer. Du hast für uns um ein gutes Leben gekämpft und wir konnten unbeschwert aufwachsen. Du hast uns trotz  aller Widrigkeiten so vieles ermöglicht.

Ich hatte eine wundervolle Kindheit und Jugend. Du warst mein Ein und Alles und gabst mir immer Geborgenheit und Sicherheit. Die Schönheit der Natur hast du mir nahe gebracht und den Blick für kleine Schätze geschärft. Wandern und Skifahren in den Bergen waren deine große Leidenschaft, die du an uns weitergegeben hast. Schon mit zwei Jahren stand ich auf Skiern. Ferien in den Bergen mit dir waren immer ein Abenteuer und während unsere Freunde damals meist zu Hause blieben, hast du uns immer diese Reisen möglich gemacht. Zwar waren unsere Quartiere einfach, aber es war trotzdem wundervoll.

Beruflich erfolgreich bist du dann um die ganze Welt gereist und brachtest andere Kulturen und Gäste aus fremden Gefilden in unser Wohnzimmer. Das öffnete unseren Horizont und machte uns weltoffen und tolerant. Mit einem guten Whiskey in der Hand hörtest du gerne Jazzmusik auf der Terrasse und ich saß manchen Abend dort mit dir unter dem Sternenhimmel.

Dein Sohn, unser Bruder und einige Jahre darauf dessen Frau, sind viel zu früh von uns gegangen. Auch dieses Schicksal musstest du ertragen.

Bei all diesen schweren Schicksalsschlägen ist das Vergessen vielleicht auch eine Erlösung.

Es gab Zeiten, da haben wir uns nicht gut verstanden, da war nur Stille zwischen uns. Wir haben beide darunter gelitten, aber es war keine Einigung möglich. Aber als zu so weit weg gezogen bist, entstand langsam wieder Nähe und wir konnten uns verzeihen.

Nun blickst du in Colorado wieder auf deine geliebten Berge und erinnerst dich dadurch hoffentlich täglich vor allem an deine glückliche Tage der Kindheit und Jugendzeit. Die schrecklichen Zeiten sind vermutlich durch die Krankheit in der Vergesslichkeit versunken und du kannst nun in Frieden leben.

Deine kindliche Zufriedenheit mildert unseren Schmerz darüber, dass du dich langsam Schritt für Schritt mehr von uns entfernt hast,  und unsere Liebe bleibt trotzdem bestehen.

Foto: Eigentum Sylvia Waldfrau

Liebestanz

Ich habe schon immer gerne getanzt. Eigentlich lasse ich mich nicht gut führen, nur wenige Männer schafften es, mich trotzdem elegant über das Parkett schweben zu lassen.

Diese waren aber nie meine Partner, sondern Freunde oder Bekannte. Bei meiner Liebe zu Musik und Tanz hätte ich vielleicht einen von denen als Partner wählen sollen. Leider wählte ich die Nichttänzer, könnte das ein Fehler gewesen sein? Ist der Gleichklang beim Tanz ein Indiz von Harmonie?

Rückblickend schaue ich nochmals genau hin, was jeweils dazu führte, dass ich Einen erwählte. Man denkt, es müsste ein Muster geben, etwas Durchschaubares. Und wenn man das erkennt, dann wählt man vielleicht das nächste Mal den Richtigen. Hauptsache, die Emotionen sind überwältigend, dann wird auch die Beziehung gut? Ob der andere auf Dauer zu einem passt, darüber sagt solch ein magischer Moment aber leider wenig aus.

Die allermeisten Menschen können sich auf ihr Menschenkenntnis verlassen. Sie hören durchaus warnende Stimmen, wenn Sie auf einen ungeeigneten Kandidaten treffen. Aber sie gehen über sie hinweg. Das stimmt. Da bin ich zu mir selbst ehrlich. Was aber bewegt einen manchmal dazu einfach die Intuition zu ignorieren? Sind es die rosarote Brille und die Hormone, die den Verstand vernebeln?

Einmal übergab mir nach Beendigung einer Beziehung mein Ex alte Briefe von mir an ihn. Zuerst legte ich sie ungelesen zu Fotos und ähnlichen Erinnerungsstücken in einen Karton. Vor dem nächsten Umzug öffnete ich den und las alle Briefe nochmals durch. Schon in den ersten Briefen an meinen Ex beschrieb ich genau die Probleme, wegen denen ich mich dann letztendlich Jahre später trennte.

Ich entschied danach immer genau und im voraus meine Vorstellungen und Erwartungen auszusprechen. Versuchte keine Maske zu tragen, offen und ehrlich meine Gefühle zu zeigen und alle Probleme in Gesprächen zu klären. Eine gute Voraussetzung für eine gute Beziehung. Was aber, wenn das Gegenüber zustimmt, ähnliche Vorstellung zu haben scheint und dies aber nur Lippenbekenntnisse sind, die danach nicht gelebt werden können?

Letztendlich kommt jetzt die Frage hoch, will ich überhaupt noch einmal den Liebestanz wagen? Ich könnte mir auch einfach einen Tanzpartner suchen. Einen der mir eben nur den Tango beibringt, aber ansonsten keine Erwartungen hat. Und es wäre ein ruhigeres Leben. Aber vielleicht ist dann dieser Tänzer genau der, der mich dann wieder begeistert und der mich dazu bringt mich wieder auf einen neuen Liebestanz einlassen zu können. Wer weiß ?

Tango

 

 

Illusion

Gestern als wir in der Sonne im Park saßen, beobachteten wir lange einen Speerwerfer, der übte. Wie auf einer Bühne stand er vor uns auf der Wiese im Sonnenlicht.

Zuerst stand er eine Weile ruhig und entspannt an einer Stelle und blickte starr in eine Richtung. Er bückte sich und hob etwas auf. Beim Aufrichten schien er die Schwere des Speeres in der flachen Hand abzuschätzen.  Er scharrte dann leicht mit den Füßen um eine gute Startposition zu finden, streckte langsam und bedächtig den Arm hinter die Schulter, blickte zurück um die Balance des Speers zu prüfen, tänzelte ein paar Schritte um dann mit kraftvollen Schritten vorwärts zu streben und im Laufen den Arm nach vorn reißend machte er einige leichte Sprünge und schleuderte den Speer ab. Auf einem Fuß balancierend schien er einen Moment lang wie ein Tänzer im Sonnenlicht zu schweben, bevor er wieder fest auf der Erde stand. Lange schaute er dem davongleitenden Speer nach, als hätte er den Wunsch mitfliegen zu können.  Wir dachten, wir hören das Schwirren des Speers, der die Luft teilt. Dann begann er die Übung von vorn.

Faszinierend war, dass er gar keinen Speer in der Hand hatte. Er übte einfach als hätte er ihn dabei und war völlig überzeugend.

Wir waren gefangen von seinen Bewegungen die harmonisch waren und uns wie ein sich immer wiederholender Tanz erschienen. Da der Park zur Psychiatrie-Klinik gehört, hatten wir wohl einen Patienten vor uns. Er hat uns überzeugt ein guter Speerwerfer zu sein.

„Die Verzweiflung schickt uns Gott nicht, um uns zu töten, er schickt sie uns, um neues Leben in uns zu erwecken“ Aus Hermann Hesse, Das Glasperlenspiel

 

 

Loslassen / Ein Traum

Als ich heute dieses Bild sah, da fiel mir ein Traum ein, den ich vor langer Zeit hatte und nie vergessen habe. Ich sehe ihn noch vor mir, als wäre es erst gestern gewesen.

Mir träumte ich ging einen langen schmalen Feldweg zwischen Wiesen entlang, der langsam zu einem Hügel aufstieg. Am Hang über mir standen Reihen von Frauen mit langen Bahnen von rotem Stoff in erhobenen Händen und sie schwenkten das wallende Rot über ihren Köpfen. Ich wandelte den Weg entlang und konnte meinen Blick nicht von dem Spiel des Stoffes im Wind und den weichen Bewegungen der fröhlich lachenden Frauen wenden. Sie hoben und senkten die Arme und das sanfte Flattern der Stoffbahnen erinnerte an Wellen des Meeres. Dann ließen die Frauen die Bahnen los und sie schwebten einige Zeit im Spiel des Windes über die Wiese und ich erwachte.

Loslassen und Trennung ist gerade mein Thema. Eine immer wiederkommende Aufgabe die immer wieder geübt werden muss.

Trauer und Neugier auf den Aufbruch in ein neues Leben wechseln sich ab wie das Auf und Ab der wallenden roten Stoffbahnen im Wind.

rote.Tuch

 

 

Als ich mich selbst zu lieben begann……….

Als ich mich selbst zu lieben begann… habe ich verstanden, dass ich immer und bei jeder Gelegenheit, zur richtigen Zeit am richtigen Ort bin und dass alles, was geschieht, richtig ist – von da an konnte ich ruhig sein. Heute weiß ich: Das nennt man SELBSTBEWUSSTSEIN.

Als ich mich selbst zu lieben begann, konnte ich erkennen, dass emotionaler Schmerz und Leid nur Warnungen für mich sind, gegen meine eigene Wahrheit zu leben. Heute weiß ich: Das nennt man AUTHENTISCH SEIN.

Als ich mich selbst zu lieben begann, habe ich verstanden, wie sehr es jemand beleidigen kann, wenn ich versuche, diesem Menschen meine Wünsche aufzudrücken, obwohl ich wusste, dass die Zeit nicht reif war und der Mensch nicht bereit, und auch wenn ich selbst dieser Mensch war. Heute weiß ich: Das nennt man RESPEKT.

Als ich mich selbst zu lieben begann, habe ich aufgehört, mich nach einem anderen Leben zu sehnen und konnte sehen, dass alles um mich herum eine Einladung zum Wachsen war. Heute weiß ich, das nennt man REIFE.

Als ich mich selbst zu lieben begann, habe ich aufgehört, mich meiner freien Zeit zu berauben, und ich habe aufgehört, weiter grandiose Projekte für die Zukunft zu entwerfen. Heute mache ich nur das, was mir Freude und Glück bringt, was ich liebe und was mein Herz zum Lachen bringt, auf meine eigene Art und Weise und in meinem eigenen Rhythmus. Heute weiß ich, das nennt man EINFACHHEIT.

Als ich mich selbst zu lieben begann, habe ich mich von allem befreit, was nicht gesund für mich war, von Speisen, Menschen, Dingen, Situationen und von Allem, das mich immer wieder hinunter zog, weg von mir selbst. Anfangs nannte ich das „Gesunden Egoismus“, aber heute weiß ich, das ist SELBSTLIEBE.

Als ich mich selbst zu lieben begann, habe ich aufgehört, immer recht haben zu wollen, so habe ich mich weniger geirrt. Heute habe ich erkannt: das nennt man BESCHEIDENHEIT.

Als ich mich selbst zu lieben begann, habe ich mich geweigert, weiter in der Vergangenheit zu leben und mich um meine Zukunft zu sorgen. Jetzt lebe ich nur noch in diesem Augenblick, wo ALLES stattfindet, so lebe ich heute jeden Tag, Tag für Tag, und nenne es BEWUSSTHEIT.

Als ich mich zu lieben begann, da erkannte ich, dass mich mein Denken behindern und krank machen kann. Als ich mich jedoch mit meinem Herzen verband, bekam der Verstand einen wertvollen Verbündeten. Diese Verbindung nenne ich heute HERZENSWEISHEIT.

Wir brauchen uns nicht weiter vor Auseinandersetzungen, Konflikten und Problemen mit uns selbst und anderen fürchten, denn sogar Sterne knallen manchmal aufeinander und es entstehen neue Welten. Heute weiß ich: DAS IST DAS LEBEN !

Charlie Chaplin an seinem 70. Geburtstag

Vergänglichkeit

Vergänglichkeit

Rainer Maria Rilke

Flugsand der Stunden. Leise fortwährende Schwindung

auch noch des glücklich gesegneten Baus.

Leben weht immer. Schon ragen ohne Verbindung

die nicht mehr tragenden Säulen heraus.

Aber Verfall: ist er trauriger als der Fontäne

Rückkehr zum Spiegel, den sie mit Schimmer bestaubt?

Halten wir uns dem Wandel zwischen die Zähne,

daß er uns völlig begreift in sein schauendes Haupt.

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auch noch des glücklich gesegneten Baus.

Leben weht immer. Schon ragen ohne Verbindung

die nicht mehr tragenden Säulen heraus.

Aber Verfall: ist er trauriger als der Fontäne

Rückkehr zum Spiegel, den sie mit Schimmer bestaubt?

Halten wir uns dem Wandel zwischen die Zähne,

daß er uns völlig begreift in sein schauendes Haupt.

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Fotos: Sylvia Waldfrau